Wieder eine Saison die nicht nur größtenteils erfolglos verlief, sondern auch den nächsten Neubeginn bringt. Der mutmaßlich nächste Trainerwechsel ist nur eine der vielen Baustellen beim FCSP. Eigentlich muss sich rund um die Profimannschaft fast alles ändern.

 

 

Nach etwas mehr als einem Jahr blickt man wieder auf dieselbe, sportlich schlechte Situation. Obwohl man letzte Saison die sportliche Führung austauschte, steht man nun noch schlechter da. Und auch wenn Trainer Luhukay am Ende der Saison mutmaßlich seinen Hut nehmen muss [1], bleiben eine Menge Baustellen:

 

Der Trainer:

Jos Luhukay bekam schon letzte Saison die Chance sein neues Team kennen zulernen, quasi einen Bonus auf die aktuelle Saison. Ab dem 29. Spieltag stand er an der Seitenlinie für den FCSP. Ins Amt kam er wahrscheinlich mehr, wegen seiner gemeinsamen Zeit mit Andreas Rettig, als wegen jüngerer Erfolge. Zumindest liegt der Eindruck nahe, wenn man sich mit den vorhergehenden Stationen genauer beschäftigt. Zugegeben auch, ich bin kein Freund von solchen alten Verbindungen (looking at Carsten Wehlmann und Markus Anfang), aber hätte ja eine gute Idee sein können…

Seine letzten Engagements vor den Kiezkickern waren Hertha BSC, der VfB Stuttgart und Sheffield Wednesday. In Berlin gelang mit einem guten Kader der Aufstieg, ein elfter Platz und die Entlassung im dritten Jahr. 18 Punkte aus 19 Spielen waren zu wenig. Klingt noch nach einer normalen Station im Profifußball. Doch schon damals tauchten gewisse Muster in der Presse auf. Sportdirektor Preetz ließ sich von Luhukay dominieren, der ruppig Umgang mit den Spielern wurde kritisiert und auch das Drumherum interessierte den Coach wenig.[2] Fast drei Jahre im Hotel leben ist zumindest erstaunlich. Spannend, dass schon damals der Fußballlehrer seinen Keeper Thomas Kraft öffentlich anzählte und dann doch spielen ließ.[3] Robin Himmelmann wird dies kennen. Beim VfB flüchtete Luhukay nach fünf Spielen. Damals wohl nach Streit mit Sportdirektor Jan Schindelmeiser und dem Aufsichtsrat. [4] Seine Ablehnung von Benjamin Pavard lässt einen im Nachhinein dann doch leicht erschaudern. Auch aus Sheffield hört man wenig Gutes über den Holländer. Nicht nur die Häme der Wednesday-Fans auf Twitter nach der Verpflichtung seitens St.Pauli, auch in der Presse ließt und hört man eigenwilliges. Den dienstältesten Spieler der „Owls“ schob er in die U23 ab, ohne mit ihm zu reden. [5] BBC-Interviews verließ er pöbelnd [6] und sich den Gegebenheiten in England anzupassen schien nicht die Sache von Luhukay zu sein[7]. Der nicht gerade konfliktscheue Charakter des Coaches war bekannt.

Nun muss man sich die Frage stellen, was man im Jahr 2020 für einen Trainer haben möchte. Bzw. was sollte ein Trainer mitbringen. Ein reiner Players Coach, also ein Kumpeltyp ist zu wenig. Auch der trockene Taktiker alleine wird es nicht richten. Aber es sollte eine Mischung sein. Selbst ein Trainer wie Julian Nagelsmann der seine Spieler vermutlich bis in den Schlaf mit Detailsversessenheit nervt, kann sich nicht erlauben auf sein Team permanent einzuschlagen bzw liefert eben Erfolg, so dass die Spieler vermutlich leichter folgen. Zu irgendeinem Zeitpunkt verliert man seine Spieler, besonders wenn man wie Luhukay eben häufig über „tough love“ öffentlich hinausgeht. Und idealerweise sollte man sich als Klub nicht unbedingt von einem Trainer und seinem System als Klub abhängig machen. Jeder bringt seine Philosophie mit, muss sich aber den örtlichen und personellen Gegebenheiten anpassen. Jürgen Klopp konnte sein System ja sowohl mit einem Robert Lewandowski, als auch mit dem völlig anderen Trio Mané/Firmino/Salah umsetzten, mal abgesehen von seinen großartigen Fähigkeiten ein Umfeld mitzunehmen. Beim FC St.Pauli war schon vor Spieltag eins dieser Saison das Team nicht gut genug. Die Spieler wurden quasi permanent rund gemacht. Nach einem 1:1 in Bielefeld am ersten Spieltag(!) musste Marvin Knoll davon erzählen, dass man die richtige Reaktion auf die Kritik gezeigt habe. Wie man so ein vertrautes Verhältnis innerhalb der Mannschaft aufbauen soll, weiß ich wirklich nicht. Das Kritisieren der Wohlfühloase ist sicherlich weit weg von falsch, aber muss das öffentlich sein? Und in dem Grad an Schärfe und Wiederholung?

Dazu wurden Spieler in einigen Partien regelrecht zum Abschuss freigegeben. Ersin Zehir (wir erinnern uns an einen jungen Spieler mit guten Ansätzen) darf einmal von Beginn an ran. In Aue. Genau da wo man immer verliert und nach fünf sieglosen Spielen. Eine „Chance“ in der man fast nicht gewinnen kann. Andere Spieler schmorten lange auf der Bank (Knoll, Buchtmann) oder wurden ein halbes Jahr lang ignoriert wie Rico Benatelli. Die permanente Rotation muss kein Problem sein, ich bin großer Freund davon die eigene Aufstellung an den Gegner anzupassen. Was aktuell aber auffällt ist das häufige positionsfremde Einsetzen von Spielern. Buballa wurde zum Innenverteidiger, Sebastian Ohlsson muss neuerdings im defensiven Mittelfeld ran, Marvin Knoll wurde in dieser Saison auf vier verschiedenen Positionen eingesetzt. Letzterer saß dann aber draußen, als ein Innenverteidiger gebraucht und der nächste Nachwuchsspieler probiert wurde als zentraler Verteidiger. Übrigens nicht Florian Carstens, der seit dem zehnten Spieltag aussortiert ist. Obendrauf fällt auf, dass häufig an augenscheinlichen Merkmalen des Gegners vorbei aufgestellt wird. Hannover ist groß, also kommen weder Flum, noch Veerman (der wohl nicht fit war) oder eben Marvin Seger zum Einsatz. Selbst ein Stürmer wie Taschy hilft bei solchen Voraussetzungen bei Standards. So steht der beste Kopfballspieler Östigard gegen Anton, Franke, Ducksch und Weydandt. Ein aussichtsloses Unterfangen. In den letzten Wochen hatte man so den Eindruck, dass sich das Team erstmal 15 Minuten sortieren muss, bis es verstanden hat, wie man aus dem wieder neuen System etwas auf dem Platz macht.

Am Ende kann man sich an vielen Details abarbeiten. Sam Hutchinson (der aussortierte Sheffield Spieler) mutmaßte hinterher, Luhukay habe die Championship nicht verstanden. Man könnte vielleicht auch vermuten, dass er nicht mehr verstanden hat, wie man zeitgemäß eine Mannschaft führt. Und wie schon im Millernton geschrieben, der katastrophale öffentlich Umgang mit den Spielern muss dringend aufhören und könnte auch zum Abschied geführt haben[8]. Seinen Stürmer dafür anzubrüllen, weil ein anderer einen Elfmeter verschießt ist absurd. Vielleicht hätte man die Probleme auch kommen sehen müssen. St.Pauli ist (zu viel) Wohlfühlen, sehr viel gemeinsam und viel Teamplay. Und das mit dem Holzhammer aufbrechen, scheint gerade vor die Wand gefahren zu sein. Schließlich ist der aktuelle Coach nach Punkteschnitt tatsächlich der schlechteste in der Datenbank (für alle Trainer mit mindestens einer Saison). Entweder schafft man es einen Trainer aus den eigenen Reihen erfolgreich zu installieren, ohne ihn wieder zu verbrennen wie einst Thomas Meggle oder man sucht die externe Lösung. Typen die besser zum Klub passen könnten wie Daniel Stendel oder Sandro Schwarz sind auf dem Markt. Oder man geht ins Risiko eine Ablöse für einen Coach zu zahlen. Wie auch immer, viel Zeit für diese Personalie hat man eigentlich nicht, will man den Neutrainer in die Kaderplanung sinnvoll einbinden.

 

Die sportliche Leitung:

Seit dem letzten Ausflug in die Bundesliga gab es fünf Sportdirektoren. Helmut Schulte sollte die Post-Stani-Ära verantworten, verpflichtete einen (im besten Fall) kantigen Trainer, gegen den er einen Machtkampf verlor. Überhaupt hat seit Stanislawski/Schulte keine Kombination mehr funktioniert. Azzouzi und Frontzeck gingen auseinander. Danach stürzte der jetzt wieder Fürther über die Personalie Meggle. Meggle selbst kam nicht mit Ewald Lienen klar und verlor so seinen Posten. Uwe Stöver – der vierte im Bunde – kam zwar gut mit Markus Kauczinski klar, knüpfte sich aber an den Trainer. Oder wurde geknüpft. Aktuell amtiert Andreas Bornemann, der in Nürnberg als eher zögerlich galt, weil er am Trainer festhielt[9]. Bei damals drei Punkten Rückstand vermutlich sogar verständlich, es war schließlich der Aufstiegstrainer. Der sportliche Leiter muss eine Führungskraft sein, etwas plumper gesagt eine starke Person im Klub. Eine starke Persönlichkeit scheint Bornemann durchaus also zu haben, stelle er sich doch gegen die Mehrheit in Nürnberg. Der aktuelle Misserfolg beim Club lässt seine Arbeit auch nicht schlechter dastehen. Doch nun muss er sich beim FCSP durchsetzen, im Vergleich zu Luhukay tauchte der Sportchef eher immer etwas ab. Seit Winter gab es weder Treuebekenntnisse noch Kritik wirklich hörbar.

Nun übernahm er ein schweres Erbe. Seine vier genannten Vorgänger und der technische Direktor Ewald Lienen haben nicht besonders viel aufzuweisen, was die Profis angeht. Während es im Nachwuchs gut läuft, hat die erste Mannschaft keine Philosophie. Keine festgelegten Eckpunkte an denen man sich bei Spielern und Trainern orientiert. Selbst wenn man sich entscheidet, dass man in erster Linie knallhart defensiv spielen will, wäre dies eine Entwicklung. Stattdessen knickt die Philosophie mit dem nächsten Trainerwind um. Von Lienens Konterfußball, zu Janßen der mehr spielerisch lösen wollte, über Kauczinski der wieder umschalten wollte (nachdem Versuche von Ballbesitzfußball schnell scheiterten), zu Luhukay der mutmaßlich Ballbesitz präferiert und offensiver werden wollte. Konsistenz Fehlanzeige. Da macht vielerorts die Konkurrenz einen besseren Job. Überhaupt muss man dringend über Konstanz und zielgerichtetes Arbeiten den Rückstand auf die Konkurrenz verkleinern. Fünf direkte Konkurrenten haben eine oder mehrere Spielzeiten im Oberhaus aufzuweisen und damit finanziellen Vorsprung. Dazu kommt im nächsten Jahr Paderborn und evtl. Bremen oder Düsseldorf. Andreas Bornemann und Ewald Lienen müssen jetzt beweisen, dass sie den FCSP in die Zukunft führen können (ließ: mal wieder zumindest zu ein paar ernsthaften Spielzeiten um den Aufstieg). Und das sportlich und nicht mit lustigem Honig.

Am Bespiel der möglicherweise zu erahnenden Schwierigkeiten, die die Verbindung Luhukay und St.Pauli hätte haben können, sollte man sich dringend darum bemühen ein ordentlich Trainerscouting aufzuziehen. Selbst Konkurrenten wie Jahn Regensburg haben klare Anforderungen definiert an ihre Übungsleiter, so dass Abgänge von erfolgreichen Trainern nicht ins Gewicht fällen. So kann man auch aus überschaubaren Mitteln mehr machen. Wichtig wären dennoch natürlich Veränderungen, besonders in der Mannschaft und Umfeld. Ein gewisser Erfolgshunger muss sich einstellen, nur eben nicht mit dem Holzhammer.

 

Die Mannschaft:

 

Sicherlich hat man diese Saison mit dem wahrscheinlich falschen Trainer und der Unmenge an Verletzungen zwei Argumente warum es nicht lief. Allerdings hat man auch unter mutmaßlich „angenehmeren“ Fußballlehrern auch nicht nennenswert mehr Erfolg gehabt. Der Vorwurf, dass das Team zu nett ist geistert schon seit Jahren um das Millerntor. Dafür hat man geschafft immer wieder Spieler zu finden, die sich im und um den Verein wohl gefühlt haben und (zumindest im Laufe ihrer Zeit) nicht mehr nur zum Kicken da waren (prominentestes Beispiel war wohl Philipp Heerwagen). Mutmaßlich bietet sich jetzt im Sommer die Chance zum Umbruch. Laut transfermarkt.de laufen zwölf Verträge aus. Darunter auch die von Conteh und Coordes, ob das so stimmt ist unsicher. Und es laufen die Arbeitspapiere von vielen Stützen dieser Saison aus. Ob überhaupt einer der Leihspieler gehalten werden kann (oder bei Penney: soll), ist mehr als fraglich. Am ehesten noch James Lawrence, über dessen Kaufoption aber wohl neu verhandelt werden müsste. Dazu sind Abgänge von Diamantakos (zwei Jahre in Folge bester Torjäger) und Kalla schon fix. Man bekommt also einen ereignisreichen Sommer, in dem man einen neuen Trainer und eben einen großen Teil der Mannschaft erneuern muss. Abgänge von Top-Spielern wie Henk Veerman sind ja ebenfalls noch nicht ausgeschlossen. Man hat sich in der Corona-Phase definitiv nicht die beste Zeit für den nächsten Neuanfang ausgesucht. Wie sich der Spielermarkt entwickelt, lässt sich noch schlechter prognostizieren als normalerweise. Dass man dieses Jahr vielleicht nicht hoffen kann, dass am Ende noch Top-Verstärkungen vom Laster fallen, scheint wahrscheinlich. Manche Teams setzten erstmal drauf den Status quo zu sichern, wenn er einigermaßen gut war (siehe Darmstadt mit diversen Einjahresverlängerungen). Aber eine Veränderung muss her, nicht nur sportlich. Dass man sich die nächste Saison geben will, in der das Team beispielsweise nach Heidenheim oder Darmstadt fährt und artig Punkte abliefert, dürfte auch den Fans irgendwann nicht mehr zu vermitteln sein. Das böse Wort Führungsspieler will man gar nicht in den Mund nehmen, aber man braucht dringend Spieler, die sicherstellen, dass das eigene Team einen gewissen Standard nicht unterschreitet. Auch weil man als Mitspieler weiß, dass es dann eine ungemütliche Trainingswoche wird. Ohne dass der Coacht einem öffentlich die Leviten lesen muss. Idealerweise sind das auch Profis, die regelmäßig spielen. Die Verletzungen waren auch vor der Saison schon ein Dauerthema. Bleibt zu hoffen, dass die sportliche Leitung ihre Hausaufgaben während der Saison gemacht hat. Viel Raum für erneute Rückschritte hat man nicht mehr. Weder tabellarisch noch emotional.

 


[1] https://www.kicker.de/778072/artikel

[2] https://www.tagesspiegel.de/sport/ende-der-aera-jos-luhukay-das-system-luhukay-fussballehrer-nicht-zauberer/11334766-3.html

[3] https://www.welt.de/sport/fussball/bundesliga/hertha-bsc/article132233898/Der-gnadenlose-Absturz-von-Hertha-BSC.html

[4] https://www.spiegel.de/sport/fussball/jos-luhukay-nach-ruecktritt-beim-vfb-stuttgart-zwei-unterschiedliche-welten-a-1112535.html

[5] https://www.itv.com/news/calendar/2019-01-25/sheffield-wednesdays-sam-hutchinson-jos-luhukay-never-explained-snub/

[6] https://www.bbc.co.uk/sounds/play/p06vpymv

[7] https://www.examinerlive.co.uk/sport/football/amateur/glenn-loovens-jos-luhukay-wednesday-18259021

[8] http://millernton.de/2020/06/18/macht-dass-es-aufhoert/

[9] https://www.welt.de/sport/fussball/bundesliga/article188719885/Andreas-Bornemann-Der-Ehrenmann-von-Nuernberg.html