Das Wetter war rau wie in der Hansestadt, das Geschehen auf dem Feld lief auch schnell für die Rothosen. Der Tabellenführer bekommt im eigenen Stadion eine saubere Rutsche. Warum?

Eishockey-Bundestrainer Toni Söderholm sprach vor Olympia von einem Idealzustand den man als Trainer anstrebt. Wenn die Mannschaft einfach spielt, alles ineinander greift und der Coach am Rand steht und nur wenig eingreifen muss.  Das erinnert stark an die Lilien vor der Winterpause. Die Phase in der jeder Gegner eigentlich wusste, was der SVD machen wird, er aber einfach dennoch abgefertigt wurde. Diese Phase ist mit dem Spiel vom Sonntag endgültig vorbei. Erstmals zeigt sich ein Gegner recht unbeeindruckt von den Stärken und der Unerschütterlichkeit der Lilien. Genau genommen ist dies schon seit der Winterpause vorbei. Ein bisschen war so ein Ausreißer nach unten zu befürchten. Gegen den FC Ingolstadt ließ man den Gegner bereits in der Anfangsphase zu sehr gewähren. Nur waren die Oberbayern eben viel zu schwach, um irgendetwas aus den Möglichkeiten zu machen. Da in der Folge der SVD teils absurd große Chancen liegen ließ, vergaß man so ein bisschen den ruckeligen Spielvortrag. Den sah man in den ersten 45 Minuten gegen den hsv aber wieder. Besonders, als man sich taktisch auf den Kontrahenten einließ.

Die Gäste aus der Hamburger Vorstadt haben ihr System gefunden. Man spielte wie beim Derbysieg in einem 4-3-3, einzig Sonny Kittel fiel aus. Eigentlich eine Schwächung, denn der ehemalige Ingolstädter legt schon zehn Treffer direkt auf. Ihn ersetzte Kinsombi auf der rechten Achterposition. Der Tabellenführer kam ganz ohne Wechsel aus, wieder spielte Mehlem die linke Mittelfeldposition. Das sollte später noch zu einer Schlüsselposition werden. Zu Beginn spielten die 98er aber wieder ihr gewohntes 4-4-2, wobei eben genau Mehlem wohl ein Auge auf Kinsombi haben sollte und andeutungsweise den Achter ins Zentrum verfolgte. Grundsätzlich sah es aber nach der bekannten Ordnung aus. Was auch immer man sich als Plan zurechtgelegt hatte, war ab der vierten Minute hinfällig. Der hsv hatte das berühmte Matchglück und bekam einen Elfmeter geschenkt. Vornehmlich von Patric Pfeiffer, der einen Rückpass passieren ließ und dann zusammen mit Schuhen gegen Alidou retten wollte. Ob der wirklich getroffen wurde, weiß nur der Flügelstürmer, die Zeitlupe legt zumindest einen nicht unbedingt für den Fall ursächlichen Kontakt nahe (sprich: Alidou wird erst getroffen als er schon in der Luft ist). Ist aber schwer aufzulösen. Dafür lief dann eben alles für die Gäste. Im Vorfeld des Elfmeters verspielen die Lilien auch noch einen guten Konter (Skarke rutscht weg) und hinten passiert das Unglück. Bis zum 0:2 war die Partie noch relativ ausgeglichen. Es zeigt sich wieder die Macht der Standardtore, denn ohne großen spielerischen Aufwand fällt das nächste Tor. Flanke von der Grundlinie, Glatzel ist einfach ungedeckt (er wird auch nicht freigeblockt oder ähnliches) und Tor. Erst danach war der Gast spielerisch so überlegen, wie es das Ergebnis ausdrückte. Bis zur Pause bekamen die Lilien das Spiel überhaupt nicht mehr in den Griff.

Im Kreis die Schlüsselpositionen. Hier entschied der Gast das Spiel für sich, die linke Seite bekamen die Lilien nie kontrolliert.

Zwischen dem 0:2 und 0:3 stellen die 98er auch systematisch um. Gegen den Ball agiert man jetzt mit einem 4-3-3 und versucht den hsv zu spiegeln. Dadurch wird die linke Seite zum Problem. In vorderster Linie stehen nun Skarke, Tietz und Luca Pfeiffer (von rechts nach links). Hinter Pfeiffer spielt Mehlem jetzt im linken Achterraum und hängt an Kinsombi. Das macht Raum frei für Rechtsverteidiger Heyer, der seine Rolle offensiv interpretiert. Mal geht er auf dem Flügel mit vor, mal ersetzt er den nach außen ziehenden Kinsombi als Achter. Das alles kann er tun, weil Luca Pfeiffer defensiv als Linksaußen seinen Gegenspieler immer wieder verliert. Sinnbildlich vor dem 0:3: Er schaut mehrfach nach Jatta, orientiert sich aber mehr in Richtung Vuskovic. Da Mehlem zeitgleich fast auf rechts zieht (oder gezogen wird), sind Jatta und Heyer frei, das Unheil nimmt seinen Lauf. Fabian Holland war nicht zu beneiden in den häufigen eins gegen zwei Situationen. Beide Darmstädter auf links waren logische Wechsel zur Halbzeit.

Logisch war auch ein weiterer Systemwechsel, denn das 4-3-3 funktionierte nicht, die Gäste überluden munter die linke Lilienseite und wurden dabei kaum gestört. Was besser funktionierte nach der Pause war ein 4-1-3-2. Neu kamen Riedel, Honsak und Seydel. Letzterer war nun zweite Spitze, Honsak ging auch die Zehnerposition und Kempe auf die linke Seite. Gjasula bliebt einziger Sechser. Im eigenen Aufbau agierte der SVD nun im 3-5-2. Gjasula fiel zwischen die Innenverteidiger und die Außenverteidiger schoben ins Mittelfeld. Besonders in der Phase zwischen der 50. und 60. Minute hatten die Rauten Glück, dass das Spiel nicht doch ein bisschen kippte. Man spielte häufig unpräzise Pässe in die Spitze und Darmstadt hatte Eroberungen und besseren Zugriff. Auch drei gute Chancen hatte man, Seydel nimmt Holland einen Abschluss, Honsak köpft an den Pfosten nach Ecke und zu guter Letzt entwertet eine Abseitsstellung Seydels Traumtor. Danach war wohl endgültig der Glaube weg und die Gäste erhöhten in der Garbage Time noch auf 5:0.

Scheinbar sollte man als Tabellenführer nicht am Bölle spielen, so erwischte es St.Pauli in der Hinrunde heftig, jetzt die Lilien bei ihrem ersten Auftritt vom Platz an der Spitze. Der Blick in die Daten zeigt erneut, wie wichtig die Standards für den Gast waren. Der xG-Wert des hsv war 2,5, davon entfallen ja allein 0,77 auf den Strafstoß. Die Rothosen waren sehr effizient. Die Lilien kamen auf 1,0 und hätten gut und gerne Ergebniskosmetik betreiben können. Aufs Tor schossen die Gäste übrigens insgesamt achtmal. Nur drei davon waren nicht drin. Es war ein gebrauchter Nachmittag, der sich durch einen unglücklichen Start erst so entfaltet haben dürfte. Mitnehmen muss man, dass der SVD auf hohes Pressing sehr schlecht ansprach am Sonntag. Der hsv kam so zu viel Druck. Auf der Gegenseite befreite man sich zu leicht vom Anlaufen der 98er. Auch waren die Anpassungen an den Gegner nicht optimal, als man merkte, dass das eigene Spiel nicht durchgedrückt werden kann. Bleibt spannend, ob man noch eine Position von Mehlem finden kann. Der zentrale Mittelfeldspieler ist eigentlich zu gut für einen dauerhaften Bankplatz. Ein Flügelspieler ist er aber auch nicht. Nächste Woche wartet mit Hannover wahrscheinlich der genaue Gegensatz der Hamburger. Man wird sehen, ob man aus der krachenden Niederlage für die Partie gegen den Dauerkriesenklub 96 etwas mitnehmen kann.

Alle Analysen beruhen auf Daten von transfermarkt.de, fussballdaten.de, projects.fivethirtyeight.com/soccer-predictions/bundesliga-2/, whoscored.com und footystats.org.