Runde zwei im Vorbericht zum Spiel am Millerntor. Heute der etwas genauere Blick auf beide Teams abseits der Taktik. Was gibt es Wissenswertes um den FCSP und die Lilien?

Die Form

In die Winterpause gingen beide Teams mit sehr unterschiedlicher Gefühlslage. Die Kiezkicker fingen sich ein derbes 0:3 im Heimspiel gegen Düsseldorf und standen mit neun Punkten ganz tief im Keller. Der SVD schlug zuvor Fürth 4:0, siegte dann 2:0 gegen Würzburg und schmiss im Pokal Dynamo Dresden raus (3:0). Die Weihnachtspause kam eigentlich zur falschen Zeit für die Lilien. Der FCSP konnte dagegen eine Ruhephase gut gebrauchen. Und vor allem Neuzugänge. Doch zum Auftakt des neuen Jahres gab es wieder nur ein 1:2 in Fürth. Auch das Nachholspiel in Würzburg brachte nicht die Wende, in Unterzahl erkämpfte man sich nur ein 1:1. Die Hoffnung schwand am Millerntor. Doch seit dem 1:1 gegen Kiel am 15. Spieltag scheint sich etwas verändert zu haben, denn seitdem gab es fünf Siege und nur gegen starke Bochumer eine knappe (2:3) Niederlage. Kaum zu glauben, aber aus dem 13 Spiele sieglos Team ist eins der formstärksten der gesamten Liga geworden. 2021 sind nur noch der KSC und eben der VfL Bochum besser. Wer also vor Samstag besser drauf ist, muss man kaum diskutieren. Die Lilien nämlich haben nur sieben Punkte erringen können im neuen Jahr. Mit auch nur sieben eigenen Treffern ist kräftig Sand im Getriebe. Man rangiert im aktuellen Kalenderjahr eher mit den Abstiegskandidaten auf Augenhöhe. Allerdings kennt man sich ja gut mit Trendwenden am Millerntor aus. Letzte Saison war es ähnlich. Man kam am 10.Spieltag sogar als Vorletzter nach Hamburg. Sieben Partien ohne Sieg fanden ihr Ende am Millerntor. Überhaupt gehört St.Pauli ja zu den liebsten Gegnern der 98er. So endete das Rückspiel 2019/20 mit 4:0 für den SVD am Böllenfalltor. Das letzte Mal eine positive Bilanz gegen Darmstadt hatten die braun-weißen 1992/93 als man am Millerntor 3:1 und in Darmstadt immerhin 1:1 spielte. Form also gegen Angstgegner am Samstag.

Guido-Magic gegen das Top-Duo

An das bereits erwähnte 1:0 am Millerntor dürfte besonders einer beste Erinnerungen haben: Tobias Kempe. Der Mittelfeldmotor der Lilien feierte seine Auferstehung in jener Partie. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es zwischen Kempe und dem damaligen Trainer Grammozis nicht so recht gepasst. Der 31-jährige saß von Saisonbeginn an meist draußen, war sogar vor dem Auftritt in Hamburg zweimal nicht im Kader. Für viele Fans Majestätsbeleidigung, aber zum damaligen Zeitpunkt nicht wirklich ungerechtfertigt. Kempe spielte einfach nicht gut. Doch nach seiner Vorlage zum goldenen Tor startete er durch. Zweiter Frühling gewissermaßen, denn seitdem wird Kempe gefühlt immer besser. Acht Treffer und sieben Vorlagen in der laufenden Runde, Kempe ist an 47% der Lilientreffer beteiligt. Zusammen mit dem gebürtigen Hamburger Serdar Dursun bildet er das Traumduo beim SVD. Der Stürmer traf neunmal, so dass beide für mehr als die Hälfte der Treffer der Südhessen verantwortlich sind (53%). Während diese Tormaschine gerade aber etwas stockt (nur ein Tor in 2021), läuft eine andere auf Hochtouren. Burgstaller-Mania bei St.Pauli! Der Österreicher knipst gerade, wie er will. Legte ihn 2020 noch eine langwierige Verletzung lahm, so zeigt er jetzt, dass er wirklich der Königstransfer von Andreas Bornemann war. Sechs Begegnungen in Folge traf der Ex-Schalker. Man könnte fast meinen, dass bei Königsblau einige den ehemaligen ÖFB-Teamspieler gerne wiederhaben würden. Trifft Burgstaller so weiter, muss der SVD wahrscheinlich dringend auf eine Reaktivierung seiner zweiköpfigen Tormaschine hoffen als Ausgleich.

Neue Besetzung an der Seitenlinie

Eine Gemeinsamkeit ist der Neuanfang, den beide Klubs im Sommer gewagt haben. Mit Timo Schultz und Markus Anfang stehen neue Übungsleiter an den jeweiligen Seitenlinien. Während der Wechsel beim FCSP fast unausweichlich nach der desaströsen Phase unter Jos Luhukay war, so gingen die Lilien eher unbedrängt ins Risiko Trainertausch. Vorgänger Grammozis musste gehen, obwohl er anderthalb sehr erfolgreiche Jahre hinter sich hatte. Am Ende sprang Tabellenplatz fünf heraus, das war mit Abstand die beste Platzierung seit dem Abstieg aus der Bundesliga. Und vor allem wirkte das Team stabil und musste zu keinem Zeitpunkt der Rückrunde zittern. Auf der Suche nach dieser Stabilität ist nun auch Markus Anfang. Der konnte die Truppe nicht nach seinen Wünschen umbauen, da das Geld dazu fehlte. Dieser Umstand war allerdings längerfristig bekannt und der Start verlief eigentlich ordentlich. Spätestens zum Jahresende 2020 dachte man, dass die Lilien nun Anfangs Team seien. Aktuell tut man sich wieder schwer, besonders der Fußball ist klar schlechter als noch vor wenigen Wochen. Die Saison der Lilien gleicht einer Achterbahn, auf tolle Höhen folgen umgehend rasante Tiefen. Auf ein 4:0 gegen völlig mit den Südhessen überforderte Braunschweiger, folgte ein total unnötiges 2:3 in Düsseldorf. Genauso nach dem spektakulären 4:3 in Karlsruhe, als man von Paderborn und Aue 0:4 respektive 0:3 abgefertigt wurde. Darmstadt hat großen Potenzial nach oben, bekommt aber keine Konstanz rein. Viel Ballbesitz, wenige Punkte.

Beim FC St.Pauli lief es ganz anders, nach einem ordentlichen Start stürzte man trotz teilweise toller Leistungen in ein tiefes Loch. Timo Schultz suchte nach dem richtigen System für den FCSP und schien es nicht so recht zu finden. Nach vorne Überzeugte sein Team (33 Treffer), nach hinten (38) bekam man den Laden quasi nie dicht. Am 17.Spieltag hielt man zum ersten Mal diese Saison die Null. Eine fast unfassbare Serie. Umso besser läuft es jetzt. Nach den Transfers von Omar Marmoush und Eric Smith wirkt St.Pauli längst nicht mehr wie ein Abstiegskandidat (mehr zu Taktik im ersten Teil der Vorberichterstattung). Dazu muss man die Resilienz aller Beteiligten loben. Nicht nur hielt man am Trainer fest, sondern dieser verlor nie seinen Glauben oder das Team. Nach 13 Partien ohne Sieg kann man durchaus mal resignieren oder gar ganz aufgeben. Nicht so Schultz und sein Team, die fleißig weiter an der Ausrichtung bastelten und Andreas Bornemann, der die richtigen Transfers im Winter tätigte. Dabei wurden auch unangenehme Entscheidungen getroffen, so wie der Abschied von Keeper Robin Himmelmann nach neun Jahren. Es dürfte im Hinblick auf den Sommer nicht die letzte dieser Art gewesen sein. Das Team zog allerdings immer mit und sich mit großem Kampfgeist aus der Misere.

Prognose aus der Statistik Bleibt noch die Annährung an das, was uns am Samstag erwarten kann. Das Portal Five Thirty Eight sieht das Heimteam leicht vorne. Spannender der Blick auf die xG-Werte der letzten fünf Spiele. Hier hat der FCSP einen wert von 9,8 und daraus tatsächlich zwölf Treffer erzielt. Man macht also auch mal schwierige Bälle rein bzw. agiert sehr effizient. Dem stehen 8,9 erwartete Treffer der Lilien und fünf tatsächliche gegenüber. Während die Kiezkicker offensiv richtig heiß gelaufen zu sein scheinen, so rangiert der SVD unter seinen Möglichkeiten. Passend dazu ist der SVD das Team mit den meisten echten Torschüssen (sprich Bälle wirklich aufs Tor) in der Liga. 5,4 Versuche im Schnitt, damit liegt man auch vor allem auswärts an der Ligaspitze. St.Pauli hingegen lässt defensiv die meisten Abschlüsse pro Spiel zu mit 15,4 (alle Schüsse). Dafür lieben die braun-weißen das Dribbling. Mit 11,9 im Schnitt kann kein Team der Liga mithalten. 13 Interceptions sind eine weitere Stärke der Hamburger, was gegen die Kurzpassfreunde aus Darmstadt (416 pro Partie) wichtig werden könnte. Damit spielen die Gäste vom Samstag fast 100 Kurzpässe mehr als ihre Gegner. Spiele von St.Pauli sehen da viel ausgeglichener aus (336 zu 356)[1]. Somit spricht für die 98er, dass sie den Ball dominieren werden und gegen eine tendenziell wacklige Defensive einige Chancen bekommen sollten, denn der FCSP lässt einiges zu. Für die Hamburger spricht, dass sie im Moment eine Menge Chancen hochprozentig nutzen (mit Ausnahme der letzten Woche, wo man deutlich höher hätte gewinnen müssen) und spielfreudiger das eins zu eins sucht. Ein Shootout wäre wohl für St.Pauli besser, eine Abwehrschlacht für die


[1] https://www.whoscored.com/Regions/81/Tournaments/6/Seasons/8280/Stages/18763/TeamStatistics/Germany-Bundesliga-II-2020-2021